IM BUND MIT DEN ILLUMINATI
Die Sterne und Planeten wirbelten so rasch, dass sie einen konstanten schimmernden Regenbogenpfad bildeten, auf dem Owen Todtsteltzer immer weiter in die Vergangenheit wanderte. Die Galaxis drehte sich unter seinen Füßen wie ein riesiges Zahnrad. Owen war inzwischen zu müde, um zu tanzen, sein Geist zu erschöpft, und doch fühlte er sich zugleich mächtiger denn je, und seine Geschwindigkeit nahm zu. Noch immer folgte er der Spur Hazel D'Arks, und er näherte sich Hazel fortwährend, ohne sie jedoch jemals einzuholen. Er hatte das Gefühl, er folgte Hazel schon ewig und würde dies auch immer weiter tun, gefangen in dem Regenbogenlauf wie ein Hamster in seinem Rad, der nur glaubte, er gelangte irgendwohin.
Zuhause schien inzwischen sehr weit weg, und das Gleiche galt für seine menschliche Natur. Er hatte so viel geleistet, sowohl vor als auch nach seinem Tod, und er spürte, dass er noch viel mehr vollbringen konnte. In mehr als nur einer Hinsicht hatte er einen weiten Weg zurückgelegt. Er fragte sich, ob der frühere Owen, der junge Gelehrte in seinem bequemen Elfenbeinturm, den Mann überhaupt noch wiedererkannt hätte, zu dem er geworden war. Gern dachte er, dass er in seinem kurzen, aber bemerkenswerten Leben Gutes vollbracht hatte, Ehrenhaftes ... aber er musste sich zugleich fragen, ob es möglich oder auch nur ratsam sein würde, dass jemand mit seiner jetzigen Macht jemals in die Gesellschaft der Menschen zurückkehrte. Macht korrumpierte, wie er aus seinen historischen Studien wusste, und er hatte sich zu solch enormer Macht aufgeschwungen! Ob er jemals wieder sein Zuhause erblickte, zusammen mit Hazel oder ohne sie?
Dieser Gedanke führte ganz natürlich, aber auch ungemütlich zu einem weiteren. Was sollte er tun, was konnte er überhaupt hoffen zu erreichen, wenn er Hazel schließlich einholte? War es ihre Bestimmung aus einer unvorstellbaren Vergangenheit, dass sie sich zum Schrecken entwickelte, oder konnte er es irgendwie verhindern? Und falls das eherne Gesetz von Ursache und Wirkung bedeutete, dass sie zum Schrecken werden und all diese entsetzlichen Dinge vollbringen musste, war es ihm dann möglich, sie wieder zu Verstand und Menschlichkeit zurückzuführen? Konnte sie jemals einfach nur wieder Hazel D'Ark sein? Konnte er jemals einfach nur wieder Owen Todtsteltzer sein? Oder hatten sie beide zu tief aus dem vergifteten Kelch getrunken, der das Labyrinth des Wahnsinns war?
Ob sie nach all dem je wieder ein gemeinsames Leben führen konnten, oder hatte er diesen ganzen Weg nur zurückgelegt, um ein Monster zu erschlagen und mit ihr zu sterben, anstatt selbst zum Monster zu werden? So viele Fragen, und keinerlei Antworten. Gewiss war für ihn lediglich die Tatsache, dass er weitergehen musste. Hazel war seine Liebe, und er war für sie verantwortlich, selbst wenn sie ihm das nie zugestanden hatte. Er konnte sie nicht im Stich lassen, konnte sie nicht verrückt und voller Kummer im Dunkeln zurücklassen.
Er näherte sich ... etwas. Er spürte
es.
Er brach aus dem Regenbogenlauf aus und ließ sich in den langsamen,
stetigen Fluss der Zeit zurückfallen. Sterne und Planeten wurden
rings um ihn wieder erkennbar, ruhig und unbewegt in der endlosen
Nacht. Owen wusste nicht recht, wie weit er in die Vergangenheit
vorgedrungen war, aber er schwebte erneut im Orbit über dem
gleichen altbekannten Planeten. Da er noch wusste, wie man ihn
vorher empfangen hatte, umgab er sich mit einem starken Abwehr- und
Tarnschirm, damit er sich vorsichtig umsehen konnte, ehe er in
irgendwelche Ereignisse verwickelt, beobachtet oder angegriffen
wurde.
Er fluchte kurz, als er feststellte, dass er Hazel erneut knapp
verpasst hatte. Sie war vor kurzem hier gewesen, vielleicht vor
gerade mal ein paar Wochen, aber sie war wieder fort und noch
tiefer in die Frühgeschichte eingetaucht. Warum hatte sie hier
angehalten, wie kurz auch immer, hier an diesem besonderen Punkt
von Raum und Zeit? Owen suchte mit seinen erweiterten Sinnen umher
und entdeckte sofort dort unten auf dem Planeten etwas, das ihm
seltsam und doch irgendwie bekannt vorkam. Es erinnerte ihn
irgendwie an Hazel. Hatte sie dort etwas zurückgelassen? Es war
eine starke Präsenz, machtvoll, aber schwer zu greifen, und sie
wies fließende Eigenschaften auf, die ihn an seine Zeit im
Labyrinth des Wahnsinns erinnerten. Es war eindeutig nicht Hazel,
aber ... war es möglich, dass ein anderer Überlebender des
Labyrinths durch die Zeit reiste und dabei Owen verfolgte wie
dieser Hazel?
Owen verbannte die sich aufdrängenden Fragen, damit er über seine
eigene Lage nachdenken konnte. Er lauschte den Tausenden von
Sendern auf dem Planeten unter ihm, der Logres war und Golgatha und
Herzwelt und derzeit anscheinend schlicht Heimstatt der Menschheit.
Er suchte die verschiedenen Frequenzen ab, um an die nötigen
Informationen über das zu kommen, was ihn da unten erwartete. Wie
es schien, war er in ferner Vergangenheit aufgetaucht, in den
allerersten Tagen des Imperiums, als die Menschheit gerade erst den
Sternenantrieb entdeckt hatte und zur Erforschung der Sterne
aufbrach, um zu sehen, was es dort zu finden gab.
Dann hörte Owen nicht weiter zu, sondern blickte sich um. Große,
klotzige Satelliten kreisten bedächtig an ihm vorbei, begleitet von
allerlei Weltraumschrott, fast genug, um einen Ring um den Planeten
zu bilden. Owen sank langsam Richtung Heimstatt hinab, gerade so
weit, dass er unterhalb der Satelliten war und ihnen damit nicht
mehr in die Quere kam. Auch große, plumpe Sternenschiffe bewegten
sich auf Umlaufbahnen und wurden in Weltraumdocks von Menschen
zusammengebaut, die anscheinend so etwas wie primitive Raumanzüge
trugen. Die unvollendeten Schiffe strotzten von allen Arten
wahrscheinlich unerprobter Tech. Das hier bildete die erste
Expansionswelle, den ersten großen Sprung der Menschheit ins
Unbekannte. Diese kühnen Prototypen ähnelten in keiner Weise den
eleganten, hochentwickelten Schiffen aus Owens Zeit, und er musste
den Mut der visionären Männer und Frauen anerkennen, die bereit
waren, ihr Leben neuen Schiffen anzuvertrauen, damit sie den
ältesten Traum der Menschheit verwirklichten: die Reise zu den
Sternen ...
Rasch sichtete Owen erneut die Funkkanäle und bemühte sich, ein
Gefühl für die politischen Zustände zu bekommen, denen er sich
diesmal gegenübersah. Anscheinend bestand das Imperium dieser Zeit
aus den neun Planeten des Sonnensystems, die alle in gewissem Masse
terrageformt und besiedelt worden waren und mehr oder weniger
demokratisch von einem Rat der Neun regiert wurden, der seinen Sitz
auf Heimstatt hatte. Einen Thron oder Imperator kannte man hier
nicht. Nach dem, was Owen verstand, lebte die Menschheit weitgehend
im Frieden mit sich selbst und war voller Hoffnung und guter
Absichten.
Der Weg zur Hölle war von jeher mit guten Absichten
gepflastert.
Owen sann über die Welt nach, die sich dort bedächtig unter ihm
drehte. Er musste sie besuchen. Er musste erfahren, was das war,
das sich wie Hazel und das Labyrinth und noch etwas mehr anfühlte.
Und er war müde. Er konnte eine Pause gebrauchen. Die Hetzjagd
konnte eine Zeit lang warten. Schließlich stand ihm alle Zeit des
Universums zur Verfügung ... Doch dann riss er den Kopf herum und
funkelte argwöhnisch in die Dunkelheit. Etwas näherte sich ihm, das
spürte er, und es nahm direkten Kurs auf ihn. Und das, obwohl
nichts in diesem primitiven Zeitalter ihn hätte entdecken dürfen.
Finster blickte er in die Richtung, aus der er es kommen spürte.
Zunächst war nichts zu sehen. Schließlich stieß ein hell
leuchtendes Licht auf ihn herab.
Das Licht wurde rasch zu einem Lebewesen, einer ihm völlig fremden
Kreatur, die mit riesigen Schmetterlingsflügeln von fast zehn
Metern Spannweite schlug. Sie zog mühelos ihre Bahn durch das kalte
Vakuum des Alls, obgleich sie gänzlich ungeschützt war, anscheinend
nur angetrieben von den hell leuchtenden Flügeln. Der Rumpf
zwischen diesen wirkte im Wesentlichen humanoid, wiewohl er
eindeutig nicht menschlich war, sondern von fremdartiger
Erscheinung, eine zerbrechliche, zierliche Gestalt aus hell
schimmernden Regenbogenfarben. Sie hielt etwa vier Meter vor Owen
an und betrachtete ihn nachdenklich aus einem Gesicht, das aufgrund
der vagen menschlichen Anklänge irgendwie umso beunruhigender
wirkte. Die Augen waren groß und dunkel und blinzelten nicht. Sie
beanspruchten fast ein Drittel des langen, spitzen Gesichts. Der
Mund bestand aus einem simplen Schlitz. Zwei lange dünne Antennen
erhoben sich aus der vorstehenden Stirn. Die mächtigen
Regenbogenflügel kräuselten sich langsam, als hielten sie die
Kreatur unter dem Anströmen nicht zu spürender Sternenwinde an Ort
und Stelle.
Einen Augenblick lang fragte sich Owen, ob er vielleicht gestorben
war und einen Engel vor sich sah, der ihn nach Hause holen sollte,
aber dazu war die Kreatur doch zu fremdartig. Owen hob langsam die
Hand und winkte höflich. Worte erklangen auf einmal in seinem Kopf
und glitten wie bitterer Honig gewandt durch seine Gedanken. Sie
kamen gewiss nicht über das Kommimplantat.
»Ich grüße Euch, fremder Reisender. Ich gehöre den Illuminati an.
Wir hörten Eure Gedanken, und so bin ich gekommen, um zu sehen,
welches neue Wunder über Heimstatt eingetroffen ist. Wir sind hier
Fremde, die ihrem eigenen Weg folgen, aber Ihr ... scheint Mensch
zu sein. Obwohl Menschen gewöhnlich im Weltraum nicht lange
überleben.«
Owen sandte die eigenen Gedanken zu der Kreatur hinüber, und sie
schien sie mühelos zu empfangen. »Hallo! Ich bin ein Mensch;
zumindest war ich mal einer. Ich schätze, man ist ein Mensch, wenn
man menschlich handelt. Ich bin ... nur auf Besuch. Darf ich
fragen, was Ihr seid?«
»Der Name meines Volkes würde in Eurer Sprache Himmelsvolk oder
Lichte Wesen heißen. Seit wir hier eintrafen, haben wir die alte
menschliche Bezeichnung Illuminati übernommen. Ich selbst nenne
mich Luzifer.«
Owen blinzelte ein paar Mal. »Ich bin nicht sicher, ob Ihr die
Bedeutung dieses Wortes wirklich verstanden habt.«
»Es bedeutet Lichtbringer, nicht wahr?«
»Nun, ja, aber... oh, vergesst es. Das Leben ist zu kurz für manche
Erklärungen. Ich heiße Owen.«
»Hallo Owen. Darf ich fragen, wie Ihr im leeren Raum überlebt, ohne
zu explodieren, zu kochen oder auf sonst eine sehr blutige Art und
Weise zugrundezugehen?«
»Ich bin schon lange nicht mehr nur ein Mensch«, antwortete Owen.
»Noch immer weiß ich nicht recht, ob das eine gute Sache ist. Eine
lange Geschichte. Im Grunde komme ich aus Eurer Zukunft und reise
in die Vergangenheit, denn ich suche eine Freundin, die diesen Weg
vor mir zurückgelegt hat. Sie heißt Hazel D'Ark. Seid Ihr ihr
zufällig begegnet?«
»Ich kenne den Namen nicht, Owen. Ich muss aber sagen, dass ich
beeindruckt bin! Mein Volk reist schon lange durch den Raum, aber
nie zuvor ist uns irgendeine Lebensform begegnet, die sich mit
Willenskraft durch die Zeit bewegen kann. Darf ich fragen, was Ihr
hier vorhabt?«
»Nun, da wir beide so überaus höflich und zivilisiert sind ... Ich
dachte mir, ich sollte mal eine Ruhepause einlegen und mich
umsehen. Mal sehen, was es hier gibt.«
»Ich bin nicht sicher, ob das wirklich klug wäre«, gab Luzifer zu
bedenken. »Die Bewohner dieses Planeten sind noch nicht reif für
den Kontakt mit einem Wesen von Eurer Macht und Euren Fähigkeiten.
Ich spüre seltsame Energien sowohl in Euch als auch in Eurer
Umgebung. Eure Präsenz könnte die Menschen dieser Zeit erschrecken
und traumatisieren, vielleicht sogar so wütend machen, dass sie
gewalttätig werden. Sie haben nur wenig Erfahrung mit anderen
Wesen.«
»Haben sie Euch schlecht behandelt?«, fragte Owen.
»Eigentlich nicht. Ich denke, es wäre am besten, wenn Ihr zunächst
mit meinem Volk sprechen würdet. Mir ist klar, dass ich Euch nicht
dazu zwingen kann, aber ich versichere Euch, dass wir über
Kenntnisse verfügen, die neu für Euch sind und Euch interessieren
werden.« Das Fremdwesen musterte Owens Gesicht ausgiebig mit seinen
ausdruckslosen, schwarzen, niemals blinzelnden Augen. »Ihr sucht
nicht nur nach Eurer Freundin. Ich erblicke etwas in Euch ... eine
alte, bekannte Angst. Ihr wisst von dem großen und uralten Übel,
das mein Volk und eine Millionen Jahre alte Zivilisation vernichtet
hat. Ihr kennt jenes Wesen, das wir den Schrecken
nennen.«
»Ja. Vielleicht sollten wir miteinander reden«, räumte Owen
vorsichtig ein. »Irgendeine Idee, wie ich zur Oberfläche
hinabsinken könnte, ohne dass man mich entdeckt? Mein Tarnschirm
wird mich vor elektronischen Augen schützen, aber nicht
stofflichen. Heh ... wartet mal eine Minute! Wie habt Ihr mich
gefunden?«
»Den Illuminati bleibt nur wenig verborgen«, sagte Luzifer. »Ihr
leuchtet hell genug in unseren Köpfen, wie ein Teil von uns, den
wir vergessen hatten. Folgt mir!«
Er breitete die gewaltigen Schmetterlingsflügel aus und schlug mit
ihnen wie mit Riesensegeln. Ein leuchtender Silbertunnel tauchte
darunter im Weltraum auf, der in die Unendlichkeit zu führen
schien. Luzifer stürzte sich hinein, und nach kurzem gedanklichen
Achselzucken folgte ihm Owen. Ein Treffen mit diesen Lichten Wesen
dürfte sich zumindest als interessant erweisen. Er war ziemlich
sicher, dass der Ekstatiker namens Freude einmal von ihnen
gesprochen hatte. Und so unvermittelt, wie er in den Silbertunnel
getaucht war, kam Owen am anderen Ende wieder zum Vorschein und
sank durch freie Luft auf eine große grüne Wiese hinab. Er setzte
dort lässig auf, und der Illuminati schwebte herab und landete
neben ihm. Der Silbertunnel war bereits wieder
verschwunden.
Es war ein strahlend sonniger Tag, und Owen saugte die gute saubere
Luft tief in die Lungen. Naturgeräusche drangen von überallher auf
ihn ein, ein freudiger Kontrast zur kalten und leeren Stille des
Weltraums. Er empfand die Sonne als warm und belebend. Breit
lächelnd blickte sich um.
Er stand in einem großen Park inmitten einer Stadt. Er sah Wiesen
und Bäume, sorgfältig arrangierte und geformte Hecken und sogar
eine Zierbrükke, die über einen klaren glitzernden Fluss führte.
Außerhalb des Parks zogen anmutige Luftfahrzeuge, ganz Silber und
Gold, ihre Bahn zwischen hoch aufragenden Wolkenkratzern. Zwischen
diesen wundervollen Schwebewagen zuckten Männer und Frauen mit
einer Art Antischwerkrafttornister umher. Ihr glückliches Lachen
erzeugte Echos auf den Straßen in der Tiefe. Die Luft war sauber
und rein, der Himmel von strahlendem Blau, ohne den Hauch einer
Wolke, und auf Owen wirkte alles wunderbar hell und neu.
Die Häuser waren aus Stahl und Silber, ihre Flanken voller riesiger
spiegelnder Fenster. Die Architektur folgte strikt der geraden
Linie, und alle Häuser sahen gleich aus, boten keinerlei Raum für
Stil, Individualität oder Charakter. In langen Reihen zogen sie
sich bis in die Ferne, allesamt groß und imposant und streng
funktional gehalten. Das Beste, was man über sie sagen konnte, war,
dass sie sich durch eine massive Präsenz auszeichneten, eine
gewisse Majestät der Dimension.
Menschen bewegten sich nicht auf den glatten, glänzenden Straßen -
nur Roboter, die Pakete trugen, Botendienste ausführten oder
obsessiv Dinge reinigten. Sie waren von grob humanoider Gestalt und
aus glänzendem Stahl gebaut; allerdings mangelte es ihnen am Stil
und der Kunstfertigkeit der Roboter von Shub. Das hier waren
eindeutig nur Maschinen, die Aufgaben auszuführen hatten.
Tatsächlich wirkten sie sogar irgendwie plump und unfertig auf
Owen.
Den Straßen folgten auch jede Menge Tiere diverser Arten und wichen
den Robotern weiträumig aus. Keines dieser Tiere schien einen
Besitzer oder Herrn zu haben, aber sie bewegten sich mit perfekter
Selbstsicherheit. Man sah Pferde, Hunde und Katzen und noch weitere
Kreaturen, die Owen nicht kannte, obwohl er dachte, dass er
womöglich mal Bilder von ihnen in sehr alten Texten gesehen
hatte.
»Die Roboter sind nicht besonders effizient«, sagte eine warme,
muntere Stimme hinter ihm, »aber ich vermute, wir umgeben uns
einfach gern mit ihnen. Wir haben immer davon geträumt, Roboter zu
bauen, und so bauen wir sie jetzt, da wir dazu fähig
sind.«
Owen drehte sich um. Neben ihm stand eine gelassen lächelnde Frau
eines bestimmten Alters, die ein metallisch funkelndes Hemd trug.
Dass Owen sie nicht mal kommen gehört hatte, das war ein Beleg
dafür, wie stark ihn der Anblick dieser seltsamen alten Welt
gefangen genommen hatte. Er nahm sich vor, so etwas nicht noch mal
geschehen zu lassen. Nur weil es irgendwie ... sauber aussah,
musste man dort Fremde nicht unbedingt freundlich empfangen. Er
erwiderte das Lächeln der Frau. Sie hatte ein gewöhnliches,
langweiliges Gesicht, das jedoch eine entschieden fröhliche Miene
zeigte. Sie war die Art Frau, die stets etwas für andere tat und
dafür gewöhnlich keinen Dank erhielt. Sie ergriff die Hand, die
Owen ihr reichte, und schüttelte sie kurz, aber
nachdrücklich.
»Ihr müsst Owen sein«, sagte sie. »Ich bin Helene Wasser. Die
llluminati sprechen von nichts anderem als Euch, seit sie Euch im
Orbit entdeckten, nachdem Ihr dort aus dem Nichts aufgetaucht wart.
Sie alle haben Eurer kleinen Plauderei mit Luzifer zugehört. Und
ja, ich habe versucht, ihm die Bedeutung dieses Namens zu erklären,
aber er hört einfach nicht auf mich. Die Lichten Wesen können sich
absichtlich blind machen für Vorstellungen, die sie gar nicht
begreifen möchten. Ich bin ihre Kontaktperson unter den Menschen.
Heutzutage so ziemlich ihre einzige Kontaktperson. Ich versuche sie
zu beschützen und fange amtliche Wichtigtuer ab, wenn diese hier
herumschnüffeln möchten, weil... weil es halt irgendjemand tun
muss. In mancher Hinsicht sind die Illuminati wie Kinder. Sie haben
einen Begriff von großen Dingen wie dem Schrecken, aber die kleinen
alltäglichen Gemeinheiten und Übel des menschlichen Denkens
scheinen sie nicht zu verstehen. Also, Owen, wer seid Ihr? Woher
kommt Ihr? Und warum sind die Illuminati Euretwegen so aus dem
Häuschen geraten?«
Owen musste über dieses Trommelfeuer von perfekt plumpen Fragen
grinsen. »Ich bin Owen Todtsteltzer, ein Zeitreisender. Ich stamme
aus Eurer Zukunft. Fragt mich nicht nach einer historisch exakten
Zeitangabe; ich habe den Überblick darüber verloren.«
Helene musterte ihn mit großen Augen und aufgesperrtem Mund. »Ich
hätte mir denken können, dass die Illuminati nicht einfach über
jemand XBeliebigen so aus dem Häuschen geraten würden! Ein
Zeitreisender! Das ist ja so ... Was für ein Jahr wir derzeit
erleben! Der Erstkontakt mit Fremdwesen und jetzt ein
Zeitreisender! Vielleicht hyperventiliere ich gleich.«
»Fragt mich nur nicht nach der Zukunft!«, mahnte Owen. »Ich bin
zwar ein Neuling im Geschäft des Zeitreisens, aber ich bin ziemlich
überzeugt, dass ich über solche Dinge nicht reden
sollte.«
»Ich freue mich nur so darüber, dass die Menschheit eine Zukunft
hat«, sagte Helene. »Manchmal fragt man sich ja ... könnt Ihr mir
irgendwas darüber erzählen, wie es in Eurer Zeit
aussieht?«
»Es geht ... bunt zu«, antwortete Owen. »Ja, eindeutig bunt. Ihr
sagtet, Eure Roboter wären nicht besonders leistungsfähig. Warum
baut Ihr sie dann?«
Helene nahm den Themenwechsel mit einem Lächeln auf. »Wir bauen
Roboter, weil wir uns das immer gewünscht haben. Unsere
Wissenschaftsromane behandeln von jeher das Thema von maschinellen
Dienern in Menschengestalt. Außerdem lieben wir es, Dienstboten und
vielleicht sogar Sklaven zu haben. Roboter können beides sein, ohne
die sonst zwangsläufig auftretenden Schuldgefühle hervorzurufen.
Manche Leute sagen, wir überließen den Robotern heutzutage zu viele
Aufgaben und würden selbst weich und schwach und viel zu abhängig
von ihnen. Vielleicht. Das Leben ist jedoch hart genug; man muss
die Annehmlichkeiten nehmen, wo man sie findet.
Nach den Robotern haben wir verbesserte Tiere entwickelt. Das ist
eine viel schönere Geschichte. Wir haben die Tiere, die wir am
meisten liebten, erst intelligent gemacht und dann zu
gleichwertigen Bürgern ernannt. Pferde, Hunde und Katzen kamen als
Erste an die Reihe, weil wir sie schon immer am meisten geliebt
haben. Dann machten wir es mit den Affen, die sich jedoch als
undankbare kleine Mistviecher erwiesen. Sie haben jetzt eine eigene
Stadt und bewerfen dort die Touristen mit Scheiße. Danach
unterbreiteten wir Walen und Delphinen das gleiche Angebot, aber
sie meinten, sie wären schon in ihrer bisherigen Form glücklich.
Natürlich reagierten einige Menschen erstaunt, als die Tiere einen
eigenen Willen und eigene Ansichten zum Ausdruck brachten und
lieber Partner als Schoßtiere sein wollten. Idioten! Darum ging es
doch schließlich. Würdet Ihr gern einige dieser Tiere kennen
lernen?«
»Liebend gern«, sagte Owen, der fasziniert war von der Vorstellung
intelligenter Tiere. »Wir haben zu meiner Zeit auch Pferde, Hunde
und Katzen, aber meist nur auf den Grenzplaneten, und sie alle sind
nicht intelligent. Oder falls doch, dann tarnen sie es richtig
gut.«
»Dann vermute ich, hat das Experiment letztlich nicht
funktioniert«, seufzte Helene. »Wie schade! Wenden wir uns mal an
einen der Hunde. Katzen sind Fremden gegenüber gern frech, und
Pferde ergehen sich immer gleich über Philosophie. Hunde hingegen
finden stets die Zeit, um mit einem Menschen zu reden. Seid jedoch
gewarnt: Hunde sind trotzdem noch Hunde - sie lieben es einfach,
sich einen faulen Lenz zu machen.«
Sie führte Owen aus dem Park. Luzifer blieb zurück. Er war seit der
Landung sehr still geworden. Owen und Helene fanden sich
schließlich im Gespräch mit einem großen schwarzen-weiß gefleckten
Hund wieder, der am Straßenrand saß und sich sehr gründlich und
zufrieden kratzte. Er brach sofort ab, um Owen ausgiebig zu
beschnuppern.
»Hallo Helene«, sagte er mit tiefer, knurrender Stimme. »Was ist
das für ein Landei? Er riecht ulkig.«
»Benimm dich, Sparky!«, wies ihn Helene zurecht, konnte aber nicht
verhindern, dass ihr Ton Zuneigung ausdrückte. »Das ist Owen. Er
ist nur auf Besuch.«
»Oh, ein Tourist. Schön, Euch kennen zu lernen, Owen. Willkommen in
der Stadt; stehlt hier nichts und seid Euch darüber im Klaren, dass
ich nicht für Fotos posiere.« Er legte den Kopf schief. »Ihr riecht
wirklich anders. Und zwar falsch. Nicht ganz menschlich. Seid Ihr
gefährlich? Ich bin vielleicht inzwischen zivilisiert, aber ich
kann Euch immer noch die Teile abbeißen und mit Euren Eiern
gurgeln.«
»Ich bin nicht gefährlich«, versicherte Owen dem Hund ernst. »Ich
möchte niemandem wehtun.«
Der Hund wedelte zweifelnd mit dem Schwanz. »Na ja, ich höre die
Aufrichtigkeit aus Eurem Ton heraus, aber trotzdem - seid lieber
vorsichtig! Helene ist eine nette Person, aber viel zu
vertrauensselig. Die Leute nutzen sie aus, und das sind nicht nur
Menschen. Ich würde ja nicht mit diesen feenhaften Fremdwesen
herumhängen, selbst wenn man mich dafür bezahlte. Sie reden
Scheiße, und bei ihrem Geruch muss ich mit den Zähnen knirschen.
Ich weiß einfach, dass sie mir zu gern ein Halsband umlegen würden,
die Mistkerle!«
»Behandeln Euch die Menschen dieser Stadt korrekt?«, wollte Owen
wissen.
Der Hund zuckte die Achseln. »Mehr oder weniger. Ich denke, wir
alle wären viel glücklicher, falls die Menschen etwas weniger
redeten und etwas mehr Stöckchen würfen, aber ... Derzeit sind die
meisten Tiere darüber verärgert, dass die Menschen uns keine
Antischwerkrafttornister zugestehen, damit wir so herumfliegen
können wie sie. Und das nur, weil man bestimmten Arten nicht über
den Weg trauen kann, was das Scheißen und Pinkeln angeht. Verzeiht
die Ausdrucksweise, aber ich bin ein Hund, und uns ist das egal.
Menschen haben wirklich die seltsamsten Tabus! Falls sie sich
gegenseitig nur häufiger unterhalb der Leiste beschnupperten, wären
sie alle viel glücklicher.«
Helene entschied, dass es Zeit war zu gehen, und Owen konnte ihr da
nur zustimmen. Ein bisschen hundemäßig Tacheles reden, das trug
wirklich sehr dazu bei. Helene führte ihn zu dem geduldig wartenden
Fremdwesen zurück, das inzwischen eine getarnte Bodenklappe
geöffnet hatte, unter der ein Tunnel in die Erde führte. Owen
juckte es, eine Bemerkung über Luzifer und die Unterwelt zu machen,
überwand die Versuchung aber. Gemeinsam mit Helene folgte er
Luzifer in den karg beleuchteten Tunnel, der ein Stück weit
gleichmäßig in die Tiefe führte, ehe er schließlich in die
Horizontale bog. Die Wände bestanden aus fest gepackter Erde, und
der Geruch von Erde und wachsenden Dingen hing kräftig in der
muffigen Luft. Helene beugte sich nahe an Owen heran, damit sie ihm
ins Ohr flüstern konnte:
»Die Lichten Wesen haben das alles gebaut. Sie mögen dunkle,
beengte Räume. Anscheinend fühlen sie sich darin sicher und
geborgen. Vielleicht erinnert es sie aber auch an ihre Zeit im
Kokon. Mal vorausgesetzt, sie haben Kokons. Sie reden nicht viel
über ihr häusliches Leben.«
Der Tunnel weitete sich auf einmal zu einer großen Naturhöhle, die
Hunderte Schritte durchmaß. Die geballte Masse der Illuminati hing
mit den Füßen an der Decke und tat es damit den Fledermäusen
gleich. Sie hatten die Flügel wie Mäntel um sich geschlungen und
drängten sich dicht aneinander. Sie zuckten und raschelten
aufgeregt, als Owen ihr Reich betrat, und betrachteten ihn von der
hohen Decke aus. Ihr helles Regenbogenglühen war die einzige
Lichtquelle, und diese wirkte in der umgebenden Düsternis etwas
gedämpft. Owen zählte vierzig Kreaturen, Luzifer mitgezählt, der
sehnsüchtig zur dicht bevölkerten Decke hinaufblickte, aber höflich
bei Owen und Helene am Boden blieb. Mobiliar war nicht vorhanden,
lediglich einzelne Erdhügel, also nahmen Owen und Helene auf
solchen Platz. Luzifer musterte Owen nachdenklich.
»Hört unsere Geschichte, Owen Todtsteltzer. Wir sind vor zehn
Monaten auf Heimstatt eingetroffen, und zuerst veranstalteten die
Menschen unseretwegen ein Riesentheater. Wir waren die erste fremde
Lebensform, die sie entdeckten, und sie konnten gar nicht genug von
uns bekommen. Sie veranstalteten Paraden und Feiern und traktierten
uns endlos mit Fragen. Als wir ihnen jedoch erklären mussten, dass
wir ihnen nicht beizubringen vermochten, wie sie selbst, unserem
Beispiel folgend, ungeschützt im Weltraum fliegen könnten, schwand
ihr Enthusiasmus. Und alles veränderte sich, als wir ihnen endlich
verrieten, warum wir gekommen waren: dass wir die Letzten unserer
Lebensform waren und vor dem Schrecken flohen, der unsere
Zivilisation vernichtet hatte. Wir galten nicht mehr als
heldenhafte Reisende, sondern waren nur noch Gegenstand des
Mitleids. Flüchtlinge. Keine kühnen Erkunder des Unendlichen, wie
die Menschen es sein wollten. Und als sie herausfanden, dass wir
kein großes Wissen mit ihnen zu teilen hatten, keine erstaunliche
fortschrittliche Technologie, sondern nur eine Warnung vor
kommenden Gefahren ... schwand der letzte Reiz des Neuen alsbald
dahin. Die Menschen verloren das Interesse an uns. Sie waren
gelangweilt. Wir hatten sie enttäuscht. All die fantastischen
Träume vom Erstkontakt mit einer fremden intelligenten Lebensform -
und wir konnten keinen davon erfüllen. Was den Schrecken anging,
wollten die Menschen nichts hören. Eine Gefahr, die erst in
Jahrtausenden entstehen würde, reichte nicht, um ihre
Aufmerksamkeit zu fesseln. Niemand nahm die Warnung ernst.
Das ist jemand anderes Problem, hieß es.
Soll sich jemand anderes darüber sorgen.
Wir wurden zu Witzfiguren, dann zu einem alten Witz, den niemand
mehr hören wollte. Gestattet mir, es Euch zu zeigen. Schaltet den
Fernseher ein, Helene.«
Sie nickte sofort und zog aus den Schatten etwas hervor, was für
Owens Augen nach einem tragbaren Monitor aussah. Helene schaltete
ihn ein, und ein Showmaster erschien in Nahaufnahme und
präsentierte etwas, was Owen für humorvolle Anspielungen hielt.
Nichts davon sagte ihm irgendetwas, aber das Studiopublikum saugte
die Sprüche richtig auf. Der Showmaster hieß Allan Woss und war von
der großen und schlaksigen Sorte. Er trug einen Glitzeranzug, hatte
einen Mop hellblauer Haare und zeigte ein breites, falsches
Lächeln, damit die perfekten weißen Zähne zur Geltung kamen. Er
fuchtelte viel mit den Armen und warf der Kamera am laufenden Meter
typische Liebt-mich-doch-Blicke zu. Owen
rümpfte die Nase. Er war mit Leuten dieses Schlages vertraut. Wie
es schien, änderten sich manche Dinge nie, wo immer man
hinging.
»Er ist eine Berühmtheit«, erklärte Helene nüchtern. »Berühmt
dafür, berühmt zu sein. Und nicht annähernd so clever und witzig,
wie er selbst glaubt. Und dieser Glitzeranzug ist ja dermaßen von
gestern! Angeblich ist das eine Gesprächsshow mit Gästen, aber die
Gäste sind nur dazu da, dass sich Woss auf ihre Kosten lustig
macht. Der Illuminati, der dort in dem steht, was Woss so charmant
den Gesprächsgraben nennt, heißt Solar. Und das ... ist die einzige
Art Show, in der die Lichten Wesen heutzutage noch auftreten
dürfen. Sie wissen zwar, dass dort von Anfang an alles auf ihre
Kosten geht, aber sie sind besessen davon, ihre Warnung zu
übermitteln. Ich verstehe das ja, aber ... niemand hört zu!
Niemanden interessiert es. Alles ist so weit entfernt und vor so
langer Zeit passiert.«
Sie drehte den Ton herauf, als sich Woss auf etwas setzte, was sehr
an einen Thron erinnerte und über dem Gesprächsgraben aufragte. Der
einsame Illuminati wirkte auf dem Monitor kleiner und ärmlicher.
Die grelle Studiobeleuchtung ließ seine zarten Regenbogenfarben
verblassen. Er wickelte die Flügel eng um sich, vielleicht um sich
selbst zu trösten. Woss lehnte sich völlig entspannt auf dem Thron
zurück, bediente das eifrige Livepublikum mit Urteilen und Witzen
und ermöglichte es Solar kaum einmal, ein Wort
einzuflechten.
»Also, Solar, erzählt uns mal von Euch, Ihr komisch aussehende
Person, Ihr! Verfügt Ihr über irgendwelche fremdartigen Kräfte oder
Fähigkeiten? Empfangt Ihr mit diesen Antennen Funksignale? Könnt
Ihr uns die Gewinnzahlen des Wochenendes nennen? Nein? Ihr seid
nicht viel nütze, was? Also könnt Ihr im Grunde nur mit diesen
Flügeln aufwarten ... Schade, schade, schade! Trotzdem gestattet
mir eine Frage, die, wie ich weiß, unsere Zuschauer beantwortet
haben möchten: da keiner von Euch Glühbirnenleuten ein Junge oder
Mädel zu sein scheint, wie bringt Ihr da neue Illuminati zustande?
Ich meine, verzeiht meine Offenheit, aber niemand von Euch scheint
über die dafür nötige Ausstattung zu verfügen! Es sei denn, das da
sind eigentlich gar keine Antennen! Nur ein Scherz, ein Scherz.
Vielleicht sollte ich mal nach Bestäubung fragen. Nach allem, was
ich weiß, habt Ihr möglicherweise mit Eurer Garderobe eine Nummer
geschoben!«
Die Speichellecker im Publikum lachten und jubelten lautstark. Woss
lächelte und wedelte mit den Händen. Owen machte ein finsteres
Gesicht.
»Warum macht er es Solar so schwer?«
»Weil das nun mal seine Art ist. Weil er es kann«, antwortete
Helene. »Die Illuminati sind unser Erstkontakt und haben sich als
langweilig erwiesen. Und das ist natürlich
unverzeihlich. Deshalb macht sich jetzt alle Welt über sie lustig
und hofft dabei, dass sie den Hinweis verstehen und wieder
verschwinden. Dann könnte die Menschheit sie einfach
vergessen.«
Eine Pause wurde in der Show eingelegt und mit lauten und offen
gesagt unausstehlichen Werbespots gefüllt; dann tauchten Woss und
Solar wieder auf. Woss versuchte Solar halbherzig zu überreden,
dass er ihn huckepack nahm und mit ihm durchs Studio flog. Solar
lehnte ab. Woss schniefte laut.
»Zu gut für uns, was? Na ja, tut nicht so hochnäsig, oder der
Schrecken fällt noch mit einem verdammt großen Schmetterlingsnetz
über Euch her! Heh, falls Ihr wirklich zum Teil Motte seid, solltet
Ihr lieber den Studiolampen fernbleiben! Ich denke nicht, dass wir
gegen Selbstverbrennung versichert sind.«
Das Publikum heulte vor Lachen, nur um plötzlich zu verstummen, als
Solar seine Flügel voll ausbreitete. Er erhob sich langsam in die
Luft, wobei er kaum mit den Flügeln schlug, und hielt an, als er
schließlich auf Woss und das Publikum hinabblickte.
»Wir sind gekommen, um Euch zu sagen, dass Ihr nicht allein seid.
Und dass Ihr in Gefahr schwebt. Es scheint jedoch, dass Ihr
entschlossen seid, nicht auf unsere Botschaft zu hören.«
»Heh!«, sagte Allan Woss. »Niemand hatte Euch eingeladen. Und der
einzige Platz für Botschaften sind die Werbepausen. Lernt erst mal
ein paar Kunststückchen, falls Ihr möchtet, dass Euch die Menschen
beachten. Bis dahin: ruft uns nicht an, und wir rufen Euch nicht
an.«
Helene schaltete den Fernseher aus und eilte zu Luzifer hinüber, um
ihn zu trösten. Luzifer starrte auf den Boden und hatte die Flügel
fest um sich gewikkelt.
»Aber, aber, Liebes; regt Euch nicht auf! Niemanden interessiert,
was Allan Woss sagt. Manche von uns erinnern sich noch an die Zeit,
als er nur ein Schönling vom Wetterstudio war und nicht mal das
Wort Niederschlag richtig aussprechen konnte.«
Owen verfolgte, wie Helene den Illuminati ihre energische Form von
Trost spendete. Er kannte Leute ihres Schlages, Menschen mit dem
übertriebenen Beschützerinstinkt, die einem kleinen verirrten
Fremdwesen auf die gleiche Art beistanden wie einem ausgesetzten
Kind oder Hund. Weil es halt richtig war. Gut gemeint, aber
...
»Helene«, sagte Owen. »Wie habt Ihr mit den Illuminati zu tun
bekommen?«
Sie drehte sich lächelnd um und tätschelte Luzifer geistesabwesend
die Schulter. »Ich konnte mich einfach nie von der Tatsache
freimachen, dass sie unser Erstkontakt sind. Mein ganzes Leben lang
habe ich darauf gewartet, mal ein echtes lebendiges Fremdwesen zu
sehen. Für mich bedeuten sie immer noch Zauber und Glanz. Also bin
ich bei ihnen geblieben, als sich alle anderen abwandten. Die Leute
sollten sich schämen! Nur weil sie nicht in großen Schiffen mit
dicken Kanonen gekommen sind ... Die Lichten Wesen sind einfach
unglaublich.«
»Sie machen wirklich Eindruck«, pflichtete ihr Owen bei. »Als ich
Luzifer zum ersten Mal sah, wie er sich mir näherte, hielt ich ihn
für einen Engel.«
»Oh, das ist er auch«, sagte Helene. »Sie alle sind im Grunde
Engel, die Schätzchen. Wir sind ihrer nicht würdig.«
Owen nickte. Er musste an die Worte des jungen Giles auf dem
Grenzplaneten zurückdenken. Als Hazel Giles dort erschienen war,
hatte sie nach einem Engel ausgesehen. Und die Lichten Wesen hatten
... irgendetwas an sich, was Owen an Hazel erinnerte. Sie bildeten
zweifellos jene fremde Präsenz, die er aus dem Orbit gespürt hatte.
Aber sie waren Fremdwesen; warum sollten sie ihn an Hazel erinnern?
Und das Labyrinth des Wahnsinns ... bestand eine unerwartete,
ungewöhnliche Verbindung zwischen ihnen? Er bemerkte, dass Helene
nicht mehr redete und ihn anblickte.
»Ich weiß«, sagte sie leise. »Ich fasele in einem fort von ihnen,
nicht wahr? Ich weiß ... dass ich im Grunde nicht clever genug bin,
um die Lichten Wesen zu verstehen oder richtig zu würdigen, aber
jemand muss sich doch um sie kümmern. Und falls ich es nicht mache,
wer dann? Ich bemühe mich immer wieder, richtige Interviews für sie
zu vereinbaren und ihnen angemessenen Respekt zu verschaffen, aber
mir fehlen die richtigen Verbindungen. Ich bin nur eine Frau, die
nicht mehr jung ist und etwas sucht, was ihre Zeit ausfüllt, was
sich zu tun lohnt. Um die Wahrheit zu sagen, vermute ich, dass ich
die Lichten Wesen ebenso brauche wie sie mich. Eigentlich haben sie
jemand Besseren verdient, jemanden mit besseren Verbindungen; aber
wie die Lage aussieht, bleibt es an mir hängen. Ich wünschte mir
nur ... ich könnte die Menschen dazu bewegen, dass sie dem, was
ihnen die Illuminati zu sagen haben, zuhören, richtig zuhören.
Allerdings kann man Menschen nicht zwingen zuzuhören, wenn sie
nicht möchten.«
»Ihr könntet mir eine große Hilfe sein«, sagte Owen. »Ich weiß nur
wenig von diesem Planeten und dieser Zeit. Ich habe gesehen, dass
viele große Schiffe derzeit im Orbit gebaut werden. Erzählt mir,
was dort geschieht.«
»Ich vermute, dass alles mit der Neuen Grenze begonnen hat«,
erzählte Helene. »Das ist eine neue philsophische und politische
Bewegung, die vor etwa fünfzehn Jahren durch die Erfindung eines
funktionsfähigen Sternentriebwerks inspiriert wurde. Zum ersten Mal
waren die Sterne in Reichweite. Das stimulierte viele Menschen.
Mich damals eingeschlossen. Die Neue Grenze glaubt, dass es von
lebenswichtiger Bedeutung für die Menschheit wäre, das Sonnensystem
zu verlassen und andere Planeten zu besiedeln. Die Menschheit über
ein riesiges, grenzenloses Imperium zu verbreiten. Sie sagen, wir
hätten es uns auf Heimstatt und den anderen Planeten zu bequem
gemacht, wo Roboter alles für uns tun. Wir müssen zu den Sternen
aufbrechen, um die alte Kraft, den alten Mut und die alten
Fähigkeiten zurückzugewinnen, wieder zu echten Menschen zu werden.
Wir müssten dort hinaus, sagen sie. Es
wäre unsere Bestimmung. Also bauen wir Sternenschiffe, und bald
werden die Tapfersten und Besten von uns unterwegs in die
Unendlichkeit sein. Dann werden wir erfahren, aus welchem Holz wir
tatsächlich geschnitzt sind.«
»Wie viele Soldaten nehmt Ihr mit?«, wollte Owen wissen. »Wie groß
wird dabei die Armee sein?«
Helene betrachtete ihn ausdruckslos. »Wozu sollten wir eine Armee
brauchen?«
»Weil das da draußen ein verdammt
gefährliches Universum ist«, antwortete Owen. »Glaubt mir; ich weiß
es. Man trifft nicht allzu viele intelligente Lebensformen an, aber
es wimmelt förmlich von richtig fiesen und grausamen Kreaturen, die
überhaupt nicht glücklich sein werden, wenn Ihr Leute daherkommt
und ihre Planeten besiedelt. Habt Ihr heutzutage denn keine Armeen
mehr?«
»Nun, im Grunde nicht«, antwortete Helene. Sie spitzte die Lippen,
als wollte Owen sie in eine Diskussion über Dinge verwickeln, über
die nette Leute normalerweise nicht reden. »Wir haben
Friedenshüter, die sich um Verbrecher kümmern und die extremeren
Gruppen wie die Neue Grenze im Auge behalten. Oder auch Heimstatt.
Fanatiker, die den Sternenflug mit Gewalt bekämpfen und alles Geld
lieber auf den Neun Planeten investiert sehen möchten. Und
Verteidiger der Menschheit, eine kleine, aber sehr lautstarke
Gruppe, die die bloße Vorstellung ablehnt, Fremdwesen könnten so
intelligent sein wie Menschen. Sie sind nicht mal mit den
aufgebesserten Tieren einverstanden. Sie versuchen immer wieder
Demonstrationen zu organisieren, aber die Hunde jagen sie jedes Mal
davon. Wir brauchen keine Armee! Weder hier noch auf irgendeinem
der Neun Planeten. Seit über hundert Jahren hat das Imperium schon
keinen Krieg mehr erlebt.«
Owen dachte darüber nach, auch über alle Antworten, die er ihr
hätte geben können, und wandte sich dann an Luzifer. »Erzählt mir
Eure Geschichte. Eure Botschaft. Ich höre zu.«
Und der Illuminati hob an: »Vor sehr langer Zeit errichteten wir in
der Nachbargalaxis eine großartige Zivilisation, zuerst durch
Beherrschung von Licht und Schwerkraft, und später, mit wachsenden
Fähigkeiten, durch Formung der Realität mit konzentrierter
Willenskraft, mit dem sanften Drängen unseres Verstandes. Damals
waren wir groß und mächtig und verbreiteten uns über viele
Planeten, die wir nach unseren Vorstellungen umgestalteten. Wir
hatten Städte aus Licht, Flüsse aus Schwerkraft, Wasserfälle aus
Feuer und Straßen aus Wind. Wir lebten Millionen Jahre lang auf
Tausenden Welten in Frieden und Harmonie und waren es zufrieden.
Weitere Lebensformen entstanden, aber sie wurden nie zur Gefahr,
weil wir die Wirklichkeit formen konnten, sodass jeder Feind sofort
zu unserem Freund wurde.«
»Ist das nicht ziemlich ... unethisch?«, fragte Owen.
»Unethischer, als wenn wir sie töteten?«, fragte Luzifer, und Owen
wusste darauf keine Antwort.
»Wir haben uns nicht in ihr Schicksal eingemischt«, fuhr Luzifer
fort. »Allen neuen intelligenten Lebensformen überließen wir es,
ihren eigenen Weg zu gehen, solange sie nicht danach trachteten,
uns mit Krieg zu überziehen. Sie erbauten ebenfalls Zivilisationen,
die aufstiegen und fielen und wieder aufstiegen, während die
Illuminati immer bestanden, leuchtend und prachtvoll. In Euren
Erinnerungen, Todtsteltzer, habe ich Bilder von Menschen mit
besonderen Gedankenkräften gesehen, die man Esper nennt. Wir waren
schon das, wozu sie sich vielleicht mal entwickeln. Jedoch stießen
auch wir an Grenzen. Wir erfanden niemals technische Hilfsmittel,
weil wir sie nie brauchten. Als sich uns dann etwas aus dem äußeren
Dunkel näherte, etwas, worauf unsere realitätsformenden Kräfte
keinen Einfluss hatten, fanden wir uns hilflos.
Nach Millionen Jahren Frieden und Zivilisation fiel der Schrecken
über uns her, eine unaufhaltsame zerstörerische Kraft, die wie ein
tobender Sturm unsere Zivilisation wegfegte. Unsere Städte
verschwanden, unsere Leute wurden verrückt und starben, und unsere
Planeten brannten.«
»Mal langsam!«, verlangte Owen. »Falls Eure Leute die Macht hatten,
allein mit dem Willen die Realität zu ändern, warum habt Ihr dann
den Schrekken nicht einfach aufgehalten oder verändert, wie Ihr es
mit Euren übrigen Feinden getan hattet?«
»Weil der Schrecken sich selbst so real gemacht hatte, dass er
nicht mehr zu ändern war«, erklärte Luzifer. »Er war von solch
einzigartigem Wesen und Zweck und so überaus riesig und gewaltig,
dass nicht mal das geballte Denken unserer ganzen Lebensform ihn
bremsen oder ganz aufhalten konnte. Und wir hatten keine Waffen, um
ihn anzugreifen. Schon die Vorstellung von Gewalt war uns fremd.
Wir sahen uns zu nichts weiter in der Lage, als unsere Heimat
aufzugeben und von einem Planeten zum nächsten zu fliehen. Aber
wohin auch immer wir gingen, es folgte uns der Schrecken, bis keine
Planeten mehr übrig waren, zu denen wir hätten fliehen können.
Unsere gesamte Zivilisation war dahin, ohne dass eine Spur
zurückgeblieben wäre, die noch von ihr hätte künden können. Wir
wandten uns um Hilfe an andere Lebensformen. Manche halfen uns,
andere nicht. Der Schrecken fraß sie alle gleichermaßen. Und am
Ende blieb uns nur noch eine letzte, verzweifelte Geste. Die
restlichen Mitglieder unseres Volkes versammelten sich auf dem
letzten verbliebenen Planeten am Rand unserer Galaxis und ballten
ihre Macht, um einige von uns in die Leere zwischen den Galaxien zu
schicken. Wir benutzten unsere Kenntnis verborgener Wege, um weiter
und schneller zu reisen, als es dem Schrecken möglich war. Alle,
die zurückblieben, starben. Sie opferten sich, auf dass wir
entkommen und unsere entsetzliche Warnung überbringen
konnten.«
Luzifer verstummte, und einen Augenblick später wurde Owen klar,
dass das alles war. »Ihr wenigen Lichten Wesen seid alles, was von
Eurer Lebensform noch existiert?«
»Ja. Die letzten kläglichen Reste eines einst stolzen
Volkes.«
»Wohin geht Ihr, wenn Ihr von hier fortgeht? Schwebt Euch irgendein
abschließendes Ziel vor?«
Luzifer zuckte die Achseln, und die mächtigen Flügel kräuselten
sich langsam. »Wir hatten immer gehofft, eines Tages eine sichere
Zuflucht zu finden, aber ... selbst nach all den Entfernungen, die
wir zurückgelegt haben, sämtlichen Planeten und wunderbaren
Lebensformen, die wir gesehen haben, fanden wir doch nie einen Ort,
der vor der Ankunft des Schreckens sicher gewesen wäre. Und so
setzen wir einfach unseren Weg fort, fliehen vor dem Zorn, der uns
verfolgt, und verbreiten unsere Warnung unter allen, die bereit
sind zuzuhören. Selbst derzeit ruhen wir uns hier auf Heimstatt nur
aus und sammeln neue Kraft, ehe wir unsere Flucht fortsetzen. Wir
sind schon lange unterwegs, Todtsteltzer, so lange, dass nicht mal
wir uns noch richtig an die abgelaufene Zeit erinnern und wir
allmählich alt und müde werden und sich unsere Kraft erschöpft.
Aber sobald wir uns wieder stark genug fühlen, brechen wir auf.
Denn der Schrecken wird letztlich kommen.
Wir haben wirklich versucht, Euer Volk zu warnen, aber die Menschen
sind stolz und arrogant und setzen ihr Vertrauen in die Technik und
die Waffen, an denen es uns fehlt.« Luzifer seufzte schwer. »Eure
Leute leben nur so kurz und haben eine solch eingeschränkte Sicht
der Zeit! Ihr begreift einfach nicht die Dimension und Macht
dessen, was kommen wird, um Euch zu vernichten. Wir fürchten, dass
die Menschen in den kommenden Jahrtausenden sämtliche Einzelheiten
unserer Warnung vergessen.«
»Falls die Menschheit nicht auf Euch hört, warum zwingt Ihr sie
dann nicht dazu?«, fragte Owen. »Indem Ihr ihre Einstellung
verändert, wie Ihr es einst bei Euren Feinden getan habt? Schon
eine einzige Demonstration der Macht würde reichen, damit sie Euch
und Eure Warnung ernster nehmen.«
»Die Illuminati sind tief gesunken von der Höhe, die sie einst
einnahmen«, sagte Luzifer. »Aber selbst wenn nicht, würden wir
niemals Gewalt gegen eine andere Lebensform einsetzen. Ein solcher
Gedanke ist uns unerträglich. Worin bestünde der Sinn des
Überlebens, wenn man dazu aufgeben müsste, was einen definiert?
Also bleibt uns nichts anderes übrig, als fortzugehen. Vielleicht
finden wir anderswo eine sichere Zuflucht... in der nächsten
Galaxis.«
Owen versuchte, ein Leben zu verstehen, das sich über eine solche
Ausdehnung von Zeit und Raum erstreckte, aber es überstieg seine
Begriffe, sogar nach seinen eigenen Zeitreisen. Er fand es
tröstlich, dass er nach wie vor menschliche Grenzen hatte, im
Gegensatz zu dem Ding, das einst Hazel D'Ark gewesen war. Eine
unvermittelte Aufwallung von Mitleid ergriff ihn, Trauer um die
armen Schmetterlingskreaturen, die zermalmt wurden unter den Fersen
eines Dings, das niemals die Wunder dessen begreifen konnte, was es
zerstört hatte.
»Also«, wandte er sich fast zornig an Luzifer, »gebt Ihr einfach
auf und fliegt davon, überlasst die Menschheit ihrem
Schicksal?«
»Was bleibt uns sonst übrig?«, fragte Luzifer.
Owen entwickelte gerade Ansätze zu einer Idee, als bewaffnete
Männer plötzlich aus dem Tunneleingang hervorplatzten. Sie trugen
improvisierte Körperpanzer über kitschigen Kostümen und eröffneten
sofort das Feuer, als sie die Lichten Wesen an der Decke hängen
sahen. Sie benutzten Schusswaffen und feuerten damit in alle
Richtungen. Helene schrie Neue Grenze!,
während Owen einen Augenblick lang einfach nur herumstand und
gaffte, durch die schnell abgefeuerten Schüsse aus dem
Gleichgewicht geworfen. Eine abgeprallte Kugel pfiff an seinem Kopf
vorbei und riss ihn aus der Benommenheit. Er schob Helene an die
nächste Wand und riet ihr, sich zu ducken, sodass er ihr mit dem
eigenen Körper Dekkung geben konnte. Die Illuminati zerstreuten
sich, um dem Kugelhagel auszuweichen, und zuckten dabei mit
schwindelerregender Schnelligkeit durch die Höhle. Die Angreifer
feuerten ununterbrochen, schienen aber nichts zu treffen. Die
Lichten Wesen stürzten sich mal in die Tiefe und stiegen mal wieder
in die Höhe, und die Angreifer folgten ihnen mit den Waffen. Der
Lärm des massiven Feuers war in der geschlossenen Höhle
ohrenbetäubend, und dicker Rauch wälzte sich durch die Luft, mal
hierhin, mal dorthin getrieben durch den Schlag gewaltiger Flügel.
Helene schluchzte laut und klammerte sich wie ein Kind an
Owen.
»Was zum Teufel geht hier vor?«, brüllte er ihr ins Ohr, musste sie
aber erst kräftig schütteln, ehe sie ihm eine zusammenhängende
Antwort gab.
»Schläger der Neuen Grenze!«, keuchte sie, während ihr Tränen über
die Wangen liefen. »Sie hassen die Lichten Wesen, weil diese den
Menschen angeblich Angst davor einjagen, zu den Sternen
aufzubrechen. Sie haben schon gedroht, die Lichten Wesen allesamt
umzubringen, um die Überlegenheit des menschlichen Geistes zu
beweisen. Angeblich wurden sie samt und sonders
verhaftet.«
»Sieht so aus, als hätten Eure Friedenshüter ein paar übersehen«,
knurrte Owen.
Die Fanatiker schwenkten ihre Gewehre hin und her, um den
ausweichenden Illuminati zu folgen, trafen aber weiterhin nichts.
In Anbetracht der schieren Anzahl Kugeln und des begrenzten Raums
war das jedoch nur eine Frage der Zeit. Die Lichten Wesen konnten
dem Kugelhagel nicht ewig ausweichen. Owen entschied, dass es an
der Zeit war, sich einzumischen. Er hielt den Mund direkt an
Helenes Ohr.
»Ihr bleibt hier. Ich kümmere mich um die Mistkerle.«
Er stand auf und lief auf die Schläger der Neuen Grenze zu. Sie
sahen ihn kommen, und einige richteten die Waffen auf ihn. Owen
lächelte kalt, und seine Macht fauchte und knisterte rings um ihn
in der Luft. Kugeln prallten harmlos von seinem Kraftfeld ab. Jetzt
wurden sämtliche Waffen auf ihn gerichtet, aber Owen schlug die
Fanatiker mit einem einzelnen Gedanken nieder. Sie schlugen heftig
am Boden auf und ließen die Waffen fallen. Auf einmal war es sehr
still in der großen Höhle, und die letzten Echos des Dauerfeuers
verklangen schnell. Die Lichten Wesen sammelten sich wieder an der
Decke, außer Luzifer, der neben Owen landete und ihn forschend
musterte. Er wollte schon etwas sagen, als Helene herbeigelaufen
kam, um ihn zu umarmen. Und einer der Fanatiker am Boden zog eine
Pistole aus einem getarnten Halfter und schoss auf Luzifer. Die
Kugel durchschlug den Flügel, den Luzifer um Helene gehüllt hatte,
und tötete sie auf der Stelle. Sie sank schlaff aus Luzifers Griff,
während der Illuminati erschrokken erstarrte. Owen heulte vor Wut.
Mit einer heftigen Handbewegung zielte er auf den Fanatiker. Dessen
Kopf explodierte zu einem Schauer aus Blut und Knochen. Die übrigen
Fanatiker schrien entsetzt auf. Sie schwiegen erst, als Owen sie
anbrüllte, sie sollten gefälligst die Klappe halten.
Er kniete neben Helene nieder, aber er wusste schon, dass sie tot
war. Luzifer stand neben ihm.
»Sie ist fort.«
»Ja.« Owen stand wieder auf und wandte sich Luzifer zu. »Wie geht
es Eurem Flügel?«
»Er wird heilen.«
»Warum habt Ihr sie nicht mit Euren Kräften beschützt?«
»Wir mischen uns nicht ein. Das ist unser Weg. Unser
Prinzip.«
»Sie war Euer Freund!«
»Ja. Das war sie. Ihr habt diesen Mann getötet, Owen.«
»Ich hätte sie alle umbringen sollen. Sie hätten auch Euch alle
getötet.«
»Wir würden lieber sterben als andere zu töten.« Luzifer wandte
Owen den Rücken zu und entfernte sich.
»Wer würde dann Eure verdammte Warnung verbreiten?«, schrie ihm
Owen nach.
»Es ist Zeit für uns zu gehen«, sagte Luzifer ohne einen Blick
zurück. »Wir können nicht länger hier bleiben und damit für noch
mehr Gewalt und Todesfälle verantwortlich werden. Vielleicht
bleiben ein paar von uns zurück und halten sich versteckt, um über
die Menschheit zu wachen, während diese ihr Imperium aufbaut. Als
Lebensform zeigt Ihr Potenzial. Ihr könnt Euch noch zu etwas
Lohnendem entwickeln.«
»Ihr hättet Helene helfen sollen«, meinte Owen.
»Wir konnten nicht mal uns selbst helfen«, gab Luzifer zu
bedenken.
Er deutete auf die Fanatiker, die erschrocken und entsetzt am Boden
lagen. Sie sprangen auf und rannten aus der Höhle, und sie
rempelten sich gegenseitig an in ihrer Hast, den Tunnel zu
erreichen und zu verschwinden. Luzifer drehte sich zu Owen
um.
»Ehe wir aufbrechen, noch eine Information: Es ist möglich, dass
wir Eurer Freundin Hazel begegnet sind, der Ihr durch die Zeit
nachjagt. Sie tauchte vor einigen Wochen hier auf - wurde von
unserer Anwesenheit angelockt. Ich denke, sie war von uns
fasziniert. Sie hat sich nur als ein geistiger Eindruck
manifestiert, gehüllt in ein Feld aus fremdartigen Energien. Sie
wirkte nicht ... als Mensch. Ihre Erscheinung erinnerte uns ein
bisschen daran, wer und was wir früher waren. Sie ängstigte uns. In
ihr fanden sich weder Zurückhaltung noch Leidenschaft. Sie hatte
bei ihrem Sturz in die Vergangenheit gewaltige Kräfte angesammelt,
indem sie sie dem Leben und den Planeten auf ihrem Weg entzog. Wir
gewannen den Eindruck, dass es keine Grenze für das schiere Ausmaß
an Kraft gibt, die sie vielleicht an sich ziehen könnte, oder für
das, zu dem sie sich möglicherweise entwickeln könnte.«
Owen nickte. Er wusste, dass er selbst Energie von irgendwoher
bezogen hatte, um seine Zeitreise damit zu speisen, und jetzt
wusste er auch, woher diese zusätzliche Energie stammte, mit der er
all die Dinge vollbrachte, die ihm vorher nicht möglich gewesen
waren. Die Vorstellung erfüllte ihn mit Entsetzen. Man kannte einen
sehr alten Begriff für Kreaturen, die überlebten, indem sie anderen
das Leben entzogen. Er wusste jedoch, dass die Wahrheit ihn nicht
aufhalten würde; nichts konnte das mehr tun. Er musste seinen Weg
fortsetzen, sei es, um zu verhindern, dass sich Hazel in den
Schrecken verwandelte, sei es, um eine Möglichkeit zu finden, sich
dem Schrecken in der Zukunft selbst entgegenzustellen.
Er verriet Luzifer nicht, dass letztlich der Schrekken aus Hazel
entstehen würde. Es hätte den Illuminati nur erschreckt.
»Ehe Ihr fortgeht«, erklärte er Luzifer kategorisch, »möchte ich,
dass Ihr etwas tut, um der Menschheit zu helfen und gleichzeitig
Eure Warnung zu bewahren. Ihr habt gesagt, die Menschen könnten
sich noch zu etwas Besserem entwickeln, aber ich bin gekommen, um
Euch zu erklären, dass das nicht bis zu dem Zeitpunkt geschehen
wird, an dem der Schrecken sie findet. Es sei denn, Ihr und ich
würden ihnen dabei helfen. Gemeinsam werden wir etwas aufbauen,
etwas schaffen, das noch nie existiert hat. Etwas, das wenigstens
ein paar Menschen die Chance geben wird zu kämpfen. Man wird es das
Labyrinth des Wahnsinns nennen. Und falls Ihr auch nur auf die Idee
kommt abzulehnen, dann denkt nur an Helene, die starb, weil Ihr ihr
nicht helfen wolltet. Vergesst nicht, was ich mit dem Fanatiker der
Neuen Grenze gemacht habe.«
Und so erbauten die Illuminati unter Owens präziser Anleitung das Labyrinth des Wahnsinns. Als sie erfuhren, was es sein und letztlich tun sollte, entschieden sie, dass es viel zu gefährlich war, das Labyrinth auf Heimstatt zu errichten oder hier zurückzulassen, und so nahmen sie Owen mit durch ihre geheimen Silbertunnel zu einem Planeten auf der anderen Seite der Galaxis. Und nur Owen wusste, dass man diesen Planeten eines Tages Haden nennen würde. In einer tiefen unterirdischen Höhle, die nur vom flackernden Regenbogenschein der Lichten Wesen erhellt wurde, errichteten sie das Labyrinth des Wahnsinns durch den gemeinsamen Einsatz konzentrierter Willenskraft, gebündelt durch Owens Verstand und Macht. Und als sie fertig waren, sah das Labyrinth genauso aus, wie er es in Erinnerung hatte.
Owen betrachtete es und dachte lange nach.
Indem ich das Labyrinth schuf, habe ich das
Morgen möglich gemacht. Ich habe den Schrecken möglich gemacht.
Aber die Lichten Wesen hätten es möglicherweise ohnehin irgendwann
errichtet. Auf diese Weise kann ich dem Labyrinth wenigstens meinen
Stempel aufdrücken. Und ohne es hätten wir Löwenstein und ihr
Imperium niemals stürzen können. Vielleicht wäre Hazel auch nie zum
Schrecken geworden und all diese Welten und Zivilisationen würden
immer noch leben. Oder vielleicht wäre jemand oder etwas anderes
zum Schrecken geworden, und die Menschheit hätte sich nie dagegen
wehren können.
Ich weiß es nicht. Das Labyrinth ist unauslöschlich mit der ganzen
Geschichte der Menschheit verwoben. Bin ich berechtigt, einen
solchen Knoten zu lösen? Nein. Wir brauchen das Labyrinth, und
letztlich kommt es nur darauf an.
Und falls ich mich irre?
Dann irre ich mich.
Die Illuminati umflatterten das Ding, das sie gebaut hatten,
ergründeten es und sannen über die Möglichkeiten nach, die es bot.
Luzifer landete neben Owen und blickte ihn zweifelnd an.
»Worin besteht der Zweck dieser Anlage, Owen?«
»Hoffnung«, antwortete dieser. »Und vielleicht
Transzendenz.«
»Dann hoffen wir, dass die Menschheit, sobald sie dereinst bis
hierher vordringt, dessen würdig sein wird, was wir ihr
hinterlassen haben.«
Owen sagte dazu nichts.
»Wir haben die Struktur des Labyrinths anhand Eures Gehirns
gestaltet«, sagte Luzifer. »Seine komplexe Struktur war
faszinierend für uns. Mensch, aber nicht nur Mensch. Verschweigt
Ihr uns etwas, Owen?«
»Ich verschweige Euch eine ganze Menge«, sagte dieser. »Und falls
Ihr klug seid, lasst Ihr es dabei bewenden.«
Owen betrachtete das Labyrinth und fragte sich, in welchem Maße es
anhand seiner eigenen Erinnerungen gestaltet war—Erinnerungen an
seine Vergangenheit, aber an die Zukunft der Lichten Wesen.
Bestimmt erklärte seine Beteiligung am Bau des Labyrinths, warum es
bei Todtsteltzern immer am besten funktionierte. Besondere
Aufmerksamkeit hatte er der Anlage des Kerns gewidmet und diesen
darauf vorbereitet, das Kind zu bewahren, das dort eines Tages
untergebracht werden würde: Giles' kleinen Sohn, den
Dunkelwüstenprojektor.
Wozu dient er?, hatte Luzifer
gefragt.
Der Hoffnung der Menschheit, lautete Owens
Antwort.
Er ist ein bisschen klein, nicht?
Ja.
Als Owen sich davon überzeugt hatte, dass das Labyrinth des
Wahnsinns fertig war, arbeitete er zusammen mit den Illuminati an
der Konstruktion eines Wächters für das Labyrinth: einer einzelnen
gestaltwandelnden Kreatur, die auf Owens modifizierten Genen
beruhte. (Er fand, dass ein Gestaltwandler am besten geeignet war,
all die langen Jahrhunderte zu überleben.) Den Illuminati musste er
versichern, dass sie hier nicht so etwas wie eine lebendige Waffe
schufen, und dazu willigte er in ihre Forderung ein, den
Gestaltwandler nur als Zuschauer und Sendboten zu programmieren,
der strikt gewaltlos vorging.
Die fertige Kreatur war ein exakter Doppelgänger Owens, obwohl sie
bislang über keine eigene Persönlichkeit verfügte - lediglich über
eine Reihe von Anweisungen und Aufgaben sowie einen
Überlebensinstinkt. Owen musste lächeln, als er daran dachte, wozu
sich diese Kreatur nach Jahrhunderten, in denen sie andere Personen
verkörperte, letztlich entwickeln würde.
»Wenn du mir in vielen Jahren im Labyrinth zum ersten Mal
begegnest«, sagte er zu der Kreatur, »dann erkenne mich nicht! Und
erzähle mir nichts von all dem hier. Es würde mich nur nervös
machen und mich von dem ablenken, was ich zu tun habe.«
»Verstanden«, sagte die Kreatur. »Ich werde daran
denken.«
»Ja«, sagte Owen. »Ich weiß.«
Außerdem gab er dem Gestaltwandler den Schwarzgoldring, das Symbol
für die Autorität des Clans Todtsteltzer, auf dass er seinem
Nachfahren Lewis Todtsteltzer zu einem bestimmten Zeitpunkt an
einem bestimmten Ort übergeben werde. Owen sorgte sich darum, dass
Lewis womöglich zu weit von der unmittelbaren
TodtsteltzerAbstammungslinie entfernt war, um vom Labyrinth erkannt
und empfangen zu werden. Ohne den Ring fühlte sich Owen nackt und
seltsam verloren, aber Lewis brauchte ihn (dereinst) mehr als er
jetzt. Es fühlte sich an, als gäbe er wieder mal einen Teil seiner
Vergangenheit, seiner Seele als Mensch auf.
Er zerbrach sich den Kopf, ob er irgendwas vergessen hatte, aber
ihm fiel nichts ein.
Also verabschiedete er sich von Luzifer und den übrigen Illuminati,
wünschte ihnen alles Gute, löste sich aus der Gegenwart und tauchte
auf seiner endlosen Jagd nach Hazel D'Ark wieder in den Zeitstrom
ein.